Evangelische Haupt- und Bischofskirche St. Matthäus

matthäus

Formulierungen wie "Luthers Achterbahn" oder auch gern "Bodwanndl von Unserm Lieben Herrgott" beschreiben die Architektur der Matthäuskirche cum granu salis auf Münchner Weise. Freilich, für das bayrisch-barocke Gemüt muten die asymetrischen Formen des erst 65 Jahre alten Gebäudes zu "modern" an (Einweihung: 1. Advent 1955). Man fremdelt etwas - und schaut mit prüfendem Blick auf die etwas eigenen Farben, Facetten und Formen. St. Matthäus verliebt sich nicht auf den ersten Blick. Es braucht ein Kennenlernen - von beiden Seiten. Mit den Augen und mit den Ohren

Der Architekt Gustav Gsaenger (1900 -1989) hat die Matthäuskirche so gestaltet, dass sie ein Gotteshaus evangelischer Christen darstellt, die sich um Wort und Sakrament versammeln. Das bildete er dadurch ab, dass die beiden Säulen im Chorraum die beiden Pfeiler lutherischer Gemeindeidentität symbolisieren: Wort und Sakrament. An der südlichen, rechten Säule hängt die Kanzel - Ort der Verkündigung des Wortes Gottes. Unmittelbar neben der nördlichen, der linken Säule befindet sich der Taufstein - Hinweis auf das Grundsakrament der Kirche - die Taufe. Zwischen den beiden Säulen findet sich keine Kathedra wie in den alten, katholischen Domen. Da ist kein Thron, kein Stuhl für den Bischof, den Klerus - sondern der Altar. Sinnbild für die bleibende Gegenwart Gottes. Darauf die geöffnete Bibel - Gott, gegenwärtig in seinem Wort. Und der Altar ahmt die Formen eines großen Tisches nach - der Platz der Gegenwart Jesu im Abendmahl. Gemeinschaftsstiftend - mit dem Himmel und miteinander.

Die Kuppel des Kirchenraums - getragen von den beiden genannten Säulen - wölbt sich über der Gemeinde und eben nicht über dem Altar oder der vermeintlichen Kathedra. Das ist evangelische Kirchenarchitektur: Gott sammelt seine Gemeinde, das "auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk..." (1. Petrusbrief 2,9) - in der es keine geistlich begründeten, keine hierarchischen Abstufungen gibt. Sondern hier versammeln sich alle - Bürger und Schwestern - unter Gottes Wort und den Sakramenten. Gott ist selbst gegenwärtig - real präsent.

 

Bildrechte beim Autor

Das große Mosaik an der Chorwand, der Ostseite, der Kirche stammt von Angela Gsaenger, der Tochter des Architekten. Darauf bildete sie das himmlische, das Neue Jerusalem ab. Gottes kommende Stadt - am Ende der Zeiten. Die Häuser sind intakt, die Kreuze auf dem Bild sind leer - es wird keine Folter mehr geben, keinen Krieg, keine Trauer - "und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein und Leiden wird nicht mehr sein - Gott der Herr spricht, ich mache alles neu" (Offenbarung 21). So die apokalyptische Verheißung...  Ein starkes Bild, wenn man bedenkt, dass der Blick der sich in der Kirche versammelnden Gemeinde schon damals auf die Wand mit dem Mosaik gerichtet war, hinter der das einst schwer zerstörte München lag. Der Blick geht Richtung Marienplatz - dem Herzen Münchens, das in den frühen Fünfzigern noch von den Wunden des Krieges gezeichnet war. Und nun ahnen die Gläubigen hier im Bild etwas von der kommenden, verheißenen Stadt des Friedens - obwohl hinter der Wand die vergangenen Jahre einer realen Zerstörung und des Krieges sichtbar sind.

Zwischen den beiden Säulen hängt Christus. Crucifixus - der gekreuzigte Gott zwischen Himmel und Erde. In Jesus lässt Gott sich im Hier und Jetzt festnageln. Das Kreuz ist nicht Teil der kommenden, verheißenen Welt auf dem Mosaik - das Kreuz ist Teil der Gegenwart, diesseitig. Leid, Schmerz, Schuld und Tod gehören zur Wirklichkeit - aber sie sind nicht stark genug, um Gott wegzuscheuchen. Er lässt sich binden, mitten hinein. Ein kantiger Christus ist hier dargestellt, Abbild der Zerbrechlichkeit des Lebens - und Abbild Gottes. Die Kreuzesbalken jedoch sind durchbrochen - sind durchsichtig. Christen sehen beim Leid nicht weg, sie sehen, was dahinter ist - dennoch: Gottes Gegenwart. Man kann durch das Kreuz, kann durch das Leid hineinschauen in die zukünfigte Stadt des Friedens. Und Christus wirft seinen Schatten voraus. Er ist schon da... der lebendige, von den Toten auferstandene Jesus.

Die Kerzen hinter dem Altar brennen während der Gottesdienste. 24 sind es. 12 und 12. Die zwölf Stämme Israels - und die zwölf Apostel. Volk Gottes vor und Gottes Volk nach dem Christusereignis. Gottes Erwählung durch die Geschichte mit seinem Volk Israel und mit der ganzen Welt. Die 24 Lichter stehen auch für die 24 Ältesten, die in der Apokalypse des Johannes genannt werden, die um den Thron Gottes stehen und Gott anbeten. Sie sind Teil der irdischen und der himmlischen Gemeinde. Hier und doch auch drüben.
 

Daher erscheint dieser "Zaun" aus Licht wie ein Hindernis – wie eine "Firewall", wenn man so will. Der Blick in das Neue Jerusalem ist bereits offen. Jesus hat an Ostern den Tod überwunden und das Reich Gottes ist nahe. Da ist es jedoch noch nicht. Betreten können wir das Neue Jerusalem noch nicht. Es ist eine Verheißung, die noch auf ihre Erfüllung wartet. 

In der Offenbarung des Johannes, dem letzten Buch der Bibel ist beschrieben, dass Gott am Ende der Zeiten auf (!) der Erde das Neue Jerusalem errichten wird. Und Johannes bekommt in einer Vision genau beschrieben, wie diese Stadt aussehen wird. Die Tore sind aus Gold, die Mauern aus Kristall, Gott ist mitten drin und das Volk Gottes sammelt sich in Frieden und Freiheit. Auf die Beschreibungen hat der Architekt Gustav Gsaenger versucht anzuspielen. Die Portale unserer Kirche sind vollends mit Messing beschlagen – goldene Tore. Die Fenster an der Nord- und Südseite reichen vom Boden bis zur Decke. Wände und Mauern aus Kristall.


Mit einer Beschreibung aus der Bibel allerdings bricht Gsaenger. Bei Johannes heißt es – die Stadt sei im Viereck angelegt. Also quadratisch. Die perfekte Form. So und so viele Meter mal so und so vielen Metern. Exakt und vollkommen. Doch davon hatte man nach Zeit des Nationalsozialismus die Nase voll. Keine geraden Reihen und Linien mehr. Keine kleinen Fester und werhafte Mauern. Keine normierte und symetrische Perfektion – die ja in dieser Welt eh nie existiert. Sondern gebrochene Formen.

Die Kirche ist völlig asymmetrisch. Gsaenger hat den Kirchenraum in Herzform und den
Gemeindesaal in Nierenform gestaltet. Nach dem Psalmwort „Lass enden der Gottlosen Bosheit, den Gerechten aber lass bestehen; denn du, gerechter Gott, prüfest Herzen und Nieren.“ (Psalm 7, 10. Siehe auch: Ps 104,35Ps 139,1Jer 11,20Offb 2,23.) Die Herzform des Kirchenraums ist erstaunlich. Die beiden Portale hinten – Nord und Süd – von da wird das Leben hereingesogen und hinausgepumpt. Die Herzkammer, das ist der Ort hier – der Altar. Die Kanzel, der Taufstein. Der Ort der Begegnung zwischen Himmel und Erde – von Gott und Mensch.

Wie gesagt, St. Matthäus verliebt sich nicht sofort - aber sie birgt und hält und wärmt - und wenns mal gefunkt hat, dann gehört man hierher, irgendwie.  

Herzlich Willkommen!